„Es ist kein typischer Stammtisch geworden“, schrieb eines der Gründungsmitglieder in der Chronik anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Stammtisches „FC Licher“, der seine Ursprünge im August 1970 in der Groß-Gerauer Gaststätte „Festung Metz“ hat.
Nach 50 Jahren bin ich noch einer der vier Gründungsmitglieder, die nach der Schulzeit und dem Beginn des Berufslebens entschieden, in Groß-Gerau einen Stammtisch zu gründen. Die Wahl fiel damals auf die beliebte Gaststätte „Festung Metz“, in der sich der in nahezu allen Kneipenlagen erfahrene Wirt Helmut („de Watz“) ebenso um die Gäste kümmerte, wie seine rundliche Ehefrau Hilde, die den damals 16-Jährigen so manche Hilfestellung in der notwendigen Lebensbewältigung bot. In den Anfangsjahren schien sich eine Entwicklung bei der zunehmenden Anzahl von Stammtischbrüdern in zumeist trinkfeste Mitglieder der Männergesellschaft abzuzeichnen. Stammtischschwestern waren da noch verpönt, denn in der ersten Hälfte der 1970er Jahre waren an dem stets Freitagabend stattfindenden Stammtisch neben Fußball, Berufsausbildung und Politik die Frauen ein wichtiges Thema. „Wie bekomme ich eine Frau und wenn ich eine habe, was dann…?“
Wir Stammtischmänner waren noch unter uns, als der Hobbyfußballclub „FC Hilde“ mit Blick auf die beliebte Stammtischwirtin gegründet und im Jahr 1974 die ersten Spiele absolvierte. Ein Jahr später kam die Idee auf, Orientierungsfahrten zu veranstalten, denn fast jeder Stammtischbruder hatte jetzt den Führerschein und ein Auto. „Frauen waren jetzt als Beifahrerinnen gerne gesehen“, erinnert sich Ruth, die als erste Frau den Bann „Frauen gehören nicht an den Stammtisch“ durchbrach. Auch ich hatte mit Erika meine erste Beifahrerin, die mich bei der ersten von Karlheinz organisierten Orientierungsfahrt „Rund um Groß-Gerau“ unterstützte. Das wir 45 Jahre später ein Paar sind und gemeinsam an der Jubiläumsfahrt des „FC Licher“ teilnehmen, daran hätten wir damals nicht im Traum gedacht.
Aus dem „FC Hilde“ war der „FC Licher“ geworden, denn die Groß-Gerauer Stammtischler wechselten 1977 zum Wirt „Deiwel“ ins Lokal „Licher Stube“. In der neuen Kneipe entwickelte sich die Mannschaft der Hobby-Stammtischfußballer, die zum 10-jährigen Jubiläum im Juni 1980 sogar ein großes Fußballturnier für Hobbyfußballer auf dem Groß-Gerauer TV-Sportplatz ausrichteten. Ein Jahr später endete die Fußballerära des „FC Licher“, dessen Stammtischbrüder und -schwestern jetzt neben Orientierungsfahrten auch gemeinsame Radtouren und Skifreizeiten unternahmen. Vorbei war die Zeit der Freitagabend-Stammtische, denn mit der zunehmenden Beteiligung der Frauen wurde alljährlich ein Jahresprogramm mit kulturellen und kulinarischen Höhepunkten entwickelt. Für Ruth, die erste Stammtischlerin, änderte sich damit die gefühlte Qualität des Stammtischs: „Wir haben Events sportlicher und kultureller Natur, kreative Einsätze, Ausflüge in Weingegenden, an interessante Orte, in den Schnee und immer wieder in die vielfältige internationale Kulinarik“, schreibt sie in ihrem Fazit „50 Jahre gelebtes Miteinander des FC Licher“. Heute gehören Wandertouren, Theaterbesuche, liebevoll zusammen
gestellte Filme und das Feiern in fröhlicher Runde zum Stammtischprogramm. „Die Anzahl der runden Geburtstage hat zugenommen, was die Feierfrequenz angenehm erhöht hat.“
Die Jubiläumsveranstaltung vom 7. bis 9. August 2020 wurde von Gabi organisiert, die erst seit fünf Jahren dem „FC Licher“ angehört. Mit ihrem vielfältigen Engagement sorgt sie für die Belebung des Jahresprogramms. Ebenso Ruth, die die gute Idee für einen „Foto-Marathon“ zu Beginn der dreitägigen Jubiläumsfeier hatte. Sechs Paare Wie bei den ehemaligen Orientierungsfahrten startete jedes Paar als Team im eigenen PKW zu einer knapp einhundert Kilometer langen Strecke. Vom Kornsand ins rheinhessische Köngernheim bis zum Zielort in Blaubach bei Kusel sollten interessante Motive gesucht und fotografiert werden. Jedes Team suchte seine fünf besten Bilder für den „Foto-Marathon“ aus. So entstanden insgesamt 30 Bilder mit unterschiedlichsten Motiven, die am Abend des zweiten Jubiläumstages präsentiert und von allen Teilnehmern nach einem Punktesystem bewertet wurden. Nach der Bilder-Bewertung rückten Erika und ich in den Blickpunkt der Jubiläumsfeier.
Wir waren nicht nur das einzige Paar des heutigen FC-Licher Stammtisch, dass an der ersten Orientierungsfahrt im Jahr 1975 teilnahm, sondern 45 Jahre später beim „Foto-Marathon“ auch die drei höchsten Punktzahlen aller eingereichten Bilder hatten. Erika durfte sich dabei über einen „Doppelsieg“ freuen.
Abgerundet wurde die Jubiläumsveranstaltung des „FC Licher“ mit einer Draisinentour im Glantal von Staudernheim bis Lauterecken und einem Zwischenstopp im mittelalterlichen Meisenheim.
Nach dem 50-jährigen Stammtischjubiläum war für mich die Erkenntnis untermauert, „dass man alte Freunde nur verlieren kann“. Dazu kam der positive Blick in die Zukunft mit einer Textzeile aus dem Lied von Udo Jürgens „Mit 66 ist noch lange nicht Schluss!“