Hoch zu Roß und er rollt immer noch
1984 bis 1987 – Die Radtouren des FC Licher Stammtisch – Teil 1
„Irgendwann im Frühjahr 1984 wurde sie wohl in einer lauen Frühlingsnacht gezeugt“, erinnert sich Karlheinz in seinem Aufsatz „Hoch zu Roß“ anlässlich des 25-jährigen Stammtischjubiläums an die Anfänge der Radtouren des FC Licher, die bis 2002 fester Bestandteil des Stammtischkalenders waren. „Es dauerte keine neun Monate, bis der Stammtisch ein Wunschkind gebar. Das arme Kind hatte keine Mutter, dafür aber viele Väter. Das Familienleben war harmonisch. Kein Wunder, denn keine Frau störte die Idylle.“ Karlheinz berichtete von einem Jugendtraum, der sich mit einem Drahtesel, statt auf dem Rücken der Pferde erfüllte. „So beschloss der Stammtisch, diese Ausritte künftig einmal jährlich gemeinsam zu unternehmen.“
1984 – Die Bergwertung, eine Frage des Prestiges
Am 3. August 1984 begann mit den „Stammtisch-Radeltouren“ ein neues Kapitel der Stammtischgeschichte. Schon die erste Tour stellte hohe Ansprüche an die noch ungeübten Licher-Radler, denn bis Miltenberg und zurück wurden insgesamt 180 Kilometer bewältigt und im Blick zurück wird berichtet, dass da schon der erste Teilnehmer sich so schlapp fühlte und mit dem Zug nach Hause fahren wollte.
„In den ersten Radeljahren war es stets eine Prestigefrage, bei den Bergwertungen unter den Besten zu sein“, stellte Karlheinz in seinem Rückblick fest. „Da wurde auch mal aus dem Sattel gegangen und bis zum Erschöpfen gefightet, nur um als Erster auf einem Buckel anzukommen. Mit zunehmendem Alter ließ dieser Ehrgeiz deutlich nach.“
1985 – Karlheinz, der Radelreporter
Seinen ersten „Radelreport“ schrieb Karlheinz anlässlich des 15-jährigen Stammtischjubiläums im Jahr 1985. Am 3. und 4. August berichtete er von der „Tour der Pannen“ mit Rolf F. und Gerhard V. als Hauptdarsteller. Mit dem Zug ging es am frühen Morgen um 6.45 los in Richtung Bad Kreuznach und vom dortigen Bahnhof mussten die Licher-Radler schon nach 14 Kilometer vier technische Stopps einlegen. Die erste Bergwertung gewann Hans-Georg und in Odernheim war bei Rolf F. nach 24 Kilometer ein weiterer Stopp in einer Fahrradwerkstatt erforderlich.
Nach dem Wunder eine Orgie in Eis und Discosound
Ein „Riesenachter am Hinterrad“ schien das Aus von Rolf F. nach 32 Kilometer besiegelt zu haben, doch Alois schaffte das Wunder, das Fahrrad zu reparieren und es ging weiter. Die zweite Bergwertung um 12.35 gewann Werner auf der Lettweiler Höhe (375 Meter), bevor eine dramatische Abfahrt nach Obermoschel begann. „Wahnsinnsabfahrt, 15 Prozent….dann 18 Prozent….Vollbremsung….bei Rolf F achtert es wie verrückt, bei Rolf M spritzt Öl: Materialschlacht“. Eine halbe Stunde später berichtet Karlheinz vom nächsten technischen Stopp: Bei Rolf F. schon wieder ein Achter und ein Plattfuß auch och. Alois beweist nochmal Richterqualitäten und weiter geht´s.“ Die dritte Bergwertung nach 44 Kilometer holt sich Alois und bei der vierten Bergwertung ist Karlheinz als Erster oben.
Um 16.23 nach knapp 68 Kilometer genießen die Licher-Radler in Sprendlingen eine „Orgie in Eis und Discosound dazu.“ Bei der fünften Bergwertung am Kreuzacker kommt es zum Fotofinish zwischen Karlheinz und Werner = kein Sieger! Zwanzig Minuten später rollen alle Teilnehmer wohlbehalten nach 74,4 Kilometer im Gasthaus Scherer in Ober-Hilbersheim ein. Karlheinz fasst die Übernachtung im Gasthaus zusammen: nette Wirtsleute, gutes Essen, kaltes Wasser zum Dusch, keine Jungfrauen weit und breit – Nachtruhe.“
Karlheinz, der Bergkönig
Nach dem Frühstück beginnt der zweite Radeltag mit Rückenwind und bergab bis Nieder-Olm. Dort holt sich Karlheinz die sechste Bergwertung und wenig später auch die Siebte auf 202 Meter höhe am Schanzenhügel. 113,2 Kilometer waren zurückgelegt, als das Mittagessen um 12 Uhr mittags in Guntersblum winkte. Da waren es nur noch 12 Kilometer bis zur Ankunft in Erfelden und die Licher-Radler freuten sich bei der Rheinüberquerung über die prompte Beförderung durch die Kühkopffähre. So nach und nach verabschiedeten sich alle sechs Teilnehmer in Richtung ihrer Wohnorte, bis es nach 143,7 Kilometer als Letzter auch Karlheinz geschafft hatte.
Vergebliche Jungfrauenjagd und die Einsamkeit der letzten Runde
Von seinen Sorgen und Nöten bei der 1985er Radtour berichtete Rolf F. in seinem Jubiläums-Aufsatz „Ein weiteres Highlight“.
„Leider war es mir nicht vergönnt die erste Radtour 1984 mitzumachen. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit (Es war etwas später) hatte doch einer tatsächlich ein Ortsschild mitten auf die Fahrbahn gestellt. Ausweichen war unmöglich, als nichts wie drüber…. Aber bei der Zweiten war ich dafür verstärkt dabei. Rolf F. erinnert sich an seinen Riesen-Achter im Hinterrad, der durch einen „dummen Reflektor“ ausgelöst wurde und den Abenteuern in Ober-Hilbersheim: „Frisch gestärkt mit einem guten Abendessen machten wir uns auf zur Jungfrauenjagd. Leider ergebnislos, aber ein voller Erfolg war bei unserer Rückkehr die letzte Bestellung von mir: Als ich gegen 22 Uhr eine Runde bestellen wollte, war ich plötzlich allein.“
1986 – Pannen Rolli….und er rollt immer noch
Am ersten August-Wochenende des Jahres 1986 startete um 8 Uhr morgens die dritte Licher-Fahrradtour bei Organisator Werner in Nauheim und ging über zwei Tage und 170 Kilometer über Idstein, Hohenstein, Lorch wieder zurück zum Ausgangspunkt. „Der Knaller, im Wahrsten Sinne des Wortes, ereignete sich 1986 in Rüdesheim“, berichtete Karlheinz unter dem Thema „Pannen Rolli….und er rollt immer noch“ über den Spitzenreiter der Pannen-Hitliste: Rolf F.: „Es gab auch eher seltene Missgeschicke, so als ihm 1986 beim Anstieg nach Wicker der Pedalsplint brach. Klappernde, schleifende Teile, oder die abstürzende Kette zählten dagegen zum Standard-Schadens-Repertoire.“ Die Lieblingspanne von Rolf F. sei der „Plattfuss“ gewesen, aber in Rüdesheim schien für ihn erstmals das Aus zu kommen: „Sein Schlauch quoll in einer riesigen Blase durch eines der Löcher im Deckmantel. Ein lauter Knall und eine Staubwolke waren in diesem Jahr das letzte Lebenszeichen seines Fahrrads. Sein Ausfall bileb bis heute ein Novum. Der Hammer war dann allerdings, dass Rolf F zirka 20 Kilometer später mit einem Ersatzfahrrad auf der Matte stand. Da waren wir alle platt.“
Der große Knall und die Dusche in der Toilette
Der vom „großen Knall“ betroffene Rolf F. erinnert sich so an diese dramatischen Momente: „Der Sechser-Zug ging ab wie die Post, bis Rolf M. meinte, jemand hätte auf ihn geschossen. Es war aber leider nur mein Fahrradschlauch, der sich durch ein Loch im Deckmantel verabschiedete und auch ich verabschiedete mich vom Rest der Truppe, die fröhlich weiterfuhr. Nach einem kleinen Frühschoppen kam mir die Erleuchtung. Wenn Ute mich schon abholen musste, konnte sie ja auch ein Fahrrad mitbringen. Gesagt, getan und der Rest des Stammtisches wurde beim Mittagessen in einem Weindörfchen überrascht.“
Zur 1986er Tour merkte noch Karlheinz an, dass es am ersten Abend unentschuldbar war, dass er und Gerhard so früh zu Bett ging und sie eine Gratisrunde verpassten. „Das kam in den folgenden Jahren nicht mehr vor.“ Karlheinz bemerkte auch, dass Rolf F. nach einer größeren Radelreparatur sich in der Toilette eines Cafés eine Dusche gönnte.
1987 – Alois und das Statussymbol für Radfahrer
Zur Stammtisch-Radtour 1987 liegen zwei Berichte von Teilnehmern vor, die von Karlheinz unter dem Titel „FC Licher radelt immer noch – auch 1987“ und von Rolf M. unter „Radtour im Spessart“ zum Besten gegeben wurden.
Karlheinz ging zunächst auf die Organisation ein, für die Alois verantwortlich war und der schon ein Jahr angekündigt hatte: „Jeden Kilometer fahre ich persönlich ab“. Damit sollten Eventualitäten, Unvorhersehbares oder gar Pannen von vornherein ausgeschlossen werden und die notwendigen Radwanderkarten wurden gleich mehrfach angeschafft. Doch dann stellte Karlheinz am 31. Juli, freitagabends einen Tag vor dem Start, fest: „Alois ist zwar keinen einzigen Kilometer vorgefahren, doch wir kannten unser Tagesziel.“ In Rolf´s Bericht wurden die Räder der sieben Licher-Radler vorgestellt: „Vier von uns fahren Leichtlaufräder mit Fünf- oder Sechsgangschaltung, Karlheinz schwört auf sein Touren- und Werner auf sein Hollandrad. Die Ausnahme bildet Alois. Sein Zwölfgangrad mit Trommelbremse wird von uns schon seit Jahren bewundert. Ein Statussymbol unter Radfahrer.“
Der Newcomer mit zwei linken Handschuhen
Karlheinz stellte Harald als „Newcomer“ unter den Licher-Radler vor, der sich seine Teilnahme bei einem improvisierten Gelage in Mörfelden bei teilweiser Übernahme der Getränkekosten sicherte. Die Vorbereitung zur Radtour beginnt am Freitagabend mit einem Stammtisch in der Groß-Gerauer Gaststätte „Schmittstube“, der aber schon früh um 22 Uhr endet. Am Samstagmorgen (1. August) versammelten sich alle sieben Teilnehmer in Worfelden bei Alois und schon kam es zu ersten Problemen: Neuling Harald hatte zwei linke Handschuhe. Erst der Vorschlag von Rolf M. „dreh´ doch einen Handschuh um“, sorgt für die Lösung.
Die Tour führt zunächst über Schneppenhausen nach Gräfenhausen (Karlheinz hatte zu Hause seine Creme vergessen!) und weiter über den Messeler Berg bis Hergershausen zum ersten Frühstück nach knapp 30 Kilometer. Wie im Wetterbericht vorhergesagt beginnt es zu regnen und nach 41 Kilometer sind die Licher-Radler gut durchnässt in Schaafheim angekommen. Da ist es wieder passiert: Rolf F. hat einen Platten! In einem Fahrradgeschäft mit einer Totalinspektion wird der Schaden behoben, derweil schüttete es in Strömen. Karlheinz stellt fest: „Richtigen Kerls macht sowas nicht aus!“
Ein Fön, um die Füße zu trocknen
Rolf M. hat derweil die Statistik bemüht und für die geplanten 170 Radelkilometer berechnet, dass dafür etwa 30.000 Pedalumdrehungen notwendig sind. „Manchmal bergauf, aber größten Teils im Regen.“
Die erste Bergwertung der Tour 1987 gewinnt Rolf F., der es als Erster über eine Main-Schleuse schafft bevor der Gasthof „Traube“ in Kleinwallstadt nach 59 Kilometer eine gute Wahl für die Mittagspause ist. „Die Herrentoilette hat einen Fön, um die Füße zu trocknen“, freut sich Karlheinz. Um kurz vor 15 Uhr in der Nähe des Heimbuchentals hat Werner seinen ersten Plattfuß und Karlheinz ist überrascht: „Er behebt den Schaden fast ganz allein.“ Drei Kilometer später entsteht das historische Licher-Gruppenbild vor dem Wasserschloss in Mespelbrunn. Vergeblich verläuft die Suche nach einer Eisdiele, so müssen die Licher-Radler den Anstieg in die „Berge“ hinter Mespelbrunn ohne Stärkung bewältigen. Auf 430 Meter Höhe erreicht Werner als Erster den Steinberg und Karlheinz lästert über dessen Gewinn der Bergwertung: „Kein Wunder, der mit den leeren Satteltaschen!“. Die Quälerei des Aufstiegs wird durch eine anschließende rasante Abfahrt zum Tagesziel in Waldaschaff belohnt.
In seinem Bericht stellt Rolf M. fest, dass die Begrüßung der durchnässten Radler in der Pension „Spessartblick“ etwas distanziert war und die „sieben ausgeflippten mit dem Fahrrad“ am Abend die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste genossen. Der Wetterbericht kündigte für den nächsten Tag „länger anhaltende Niederschläge“ an und Rolf M. erinnerte sich, dass Überlegungen angestellt wurden, vielleicht ab Aschaffenburg bis Darmstadt mit dem Zug zu fahren. „Mit diesem Gedanken mag sich niemand so richtig anfreunden“ und nach einem stimmungsvollen Abend schien es am nächsten Morgen nach einer leichten Wetterbesserung auszusehen. Die Frage nach dem „Warum“ wird zurückgestellt und die Licher-Radler fahren bei Nieselregen weiter bis Aschaffenburg und von dort nach Seligenstadt bis Offenthal.
Schlauchwechsel wie bei der Formel 1 und Tolkiens Nachtwald
Karlheinz konnte sich mit seiner Forderung „wir fahren mit dem Zug nach Hause“ nicht durchsetzen und dann erwischt ihn nach der Mittagspause beim Jugoslawen in der „Alten Brauerei“ von Seligenstadt auch noch ein „schleichender Platten“. Den erforderlichen Schlauchwechsel schafft er nach 133 gefahrenen Kilometer durch seine gute Tour Vorbereitung: „Wir können nach zirka 9,3 Sekunden, wie bei der Formel 1, weiter radeln.“ Eineinhalb Kilometer weiter wurden die Licher-Radler unerwartet gestoppt. Die geplante Fahrt über eine neue Autobahnbrücke geht nicht, es fehlen knapp fünf Meter der Brücke und zudem wurde das Wetter noch schlechter.
Rolf M. philosophierte derweil über den Sinn der Radtour bei diesem Wetter. „Radfahren ist für einige von uns schon fast zu einer Weltanschauung geworden. Mediziner sagen, es hat etwas mit Psychologie zu tun, denn es fördert das seelische Gleichgewicht. Wo kann man denn schon, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu bekommen, so oft nach unten treten.“ Hinter Offenthal ging die Tour eine halbe Stunde lang durch ein Waldgebiet und Rolf M. stellt fest: „Durch die vielen Wolken ist es hier jetzt noch dunkler als sonst. Der Boden ist aufgeweicht, es riecht nach Pilzen und leichter Nebel steigt zwischen den Bäumen auf. Fast fühlt man sich in Tolkiens Nachtwald versetzt.“
Die gelbe Doppelportion gewinnt die Trikotwertung
Trotz der erforderlichen Umfahrung der unvollständigen Brücke und immer schlechter werdenden Witterungsbedingungen erreichten die Licher-Radler nach knapp 170 Kilometer das Abschlussziel in Gräfenhausen, wo von den Damen Kaffee und Kuchen vorbereitet worden waren. Die abschließende Stärkung der sieben Licher- der keine Panne Radler vor der Fahrt in die jeweiligen Heimatorte kommentierte Karlheinz wie folgt: „Zwei Kuchen, einer für uns und den größeren für Rolf F.“
Karlheinz rundete sein Fazit mit einer Punkt- und Trikotwertung für die Teilnehmer ab. So bekam Werner den Titel „Der Faulpelz“ wegen seiner leeren Satteltaschen, Alois „Der schlappe Führer“ wegen seiner „altersbedingten Beschwerden und er oftmals letzter vor dem Besenwagen war, Hans-Georg „Der Duftende“, der seine Waden mit Franzbranntwein kräftigte, Harald „Der Neue, Unauffällige“, der keine Panne hatte und sich kaum daneben benahm, Karlheinz „der Lahme, mürrische Reporter“, der ständig für unnötige Verzögerungen wegen der Buchführung sorgte, Rolf M. „Die Dauerlinse“, der unermüdlich vorne, unten, oben und hinten den Fotoapparat im Anschlag hatte, sowie Rolf F. (auch: Rolli), „Die gelbe Doppelportion“, der Kraft wie ein Bär hat und sportlich am stärksten sich das gelbe Trikot verdiente. Karlheinz führte den Rolli-Sieg auch auf dessen ständigen „doppelten“ Fleischkäse zurück.
Die Geschichte der Licher-Radtouren wird im Jahr 1988 fortgesetzt