Die blühenden Landschaften im Osten

2021

Die blühenden Landschaften im Osten – Vieles sah früher anders aus

Die Reise „Blühende Landschaften im Osten“ führt den Leser durch die neuen Bundesländer Thüringen, Sachsen, Brandenburg und erinnert an eine Vision des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der im Juli 1990 sein damals berühmtes Wahlkampfversprechen in dem wiedervereinigten Deutschland gab. Zwei Jahre zuvor war ich Mitte Mai 1988 Gast bei einer Hochzeit in der Nähe von Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands an der Neiße und in dessen heutigem Ortsteil Hagenwerder mit dem gleichnamigen Kraftwerk und dem benachbarten Braunkohletagebau.

Bergbaugelände – Benutzung auf eigene Gefahr

Von ersten Grabungen nach Braunkohle wird im 18. Jahrhundert berichtet und die Anfänge des Abbaus in Schächten und Gruben begannen im Jahr 1835. Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Tagebau als volkseigener Betrieb der DDR und im Jahr 1958 wurde das Kraftwerk Hagenwerder in Betrieb genommen. In den folgenden Jahren waren die Rauchfahnen des Kraftwerkes weithin sichtbar und der Ascheniederschlag auf der Wäsche oder auf dem Fensterbrett wahrnehmbar. Die Tagebauentwicklung, die bei seinem Höhepunkt rund 7.000 Arbeitskräfte beschäftigte, forderte Einschnitte für die Menschen. Ende der 1950er Jahre wurde Berzdorf mit seinen Ortsteilen abgebrochen und verlegt. Mitte der 1980er Jahre wurde der Ort Deutsch Ossig verlegt. Die erhebliche Umweltbelastung, die ich bei meinem DDR-Besuch im Mai 1988 selbst erlebt habe, wurde durch die fehlenden Filteranlagen der Kraftwerksblöcke verursacht, deren Ende wenige Jahre nach der politischen Wende kam. Bis 1996 wurden alle Blöcke des Kraftwerks Hagenwerder abgeschaltet und ein Jahr später der Tagebaubetrieb stillgelegt. Es begann die Umgestaltung der ehemaligen Grube in ein Naherholungsgebiet mit dem Berzdorfer See. Als Denkmal an den ehemaligen Braunkohlenbergbau erinnert heute ein bei Hagenwerder aufgestellter Schaufelradbagger und entlang der 16 Kilometer Uferlänge des Berzdorfer Sees die Schilder mit dem Hinweis „Bergbaugelände – Benutzung auf eigene Gefahr“.

 

Auf den Spuren von Martin Luther

Erste Station unserer Reise zu den „blühenden Landschaften“ war Erfurt zur Zeit der Bundesgartenschau. In der Thüringer Landeshauptstadt, die sich auch als Blumenstadt bezeichnet, erhielten wir erste „blühende“ Eindrücke, doch unser Hauptinteresse lag neben den Sehenswürdigkeiten (Dom St. Marien, St. Severikirche, dem Wahrzeichen Krämerbrücke und der alten Synagoge) auf dem Besuch des evangelischen Augustinerklosters. Erika erinnerte sich an ihre Luther-Fahrten mit der Gernsheimer evangelischen Kirche, die sie erstmals nach Erfurt in die um 1300 erbaute Klosteranlage der Augustiner führte. Sechs Jahre lang, zwischen 1505 und 1511 lebte dort einst Martin Luther als Mönch, nachdem er ein schweres Gewitter überlebt hatte und in seiner Not eine Gegenleistung für die Rettung versprochen hatte. Wir nehmen uns Zeit für einen Gang durch das Kloster mit seinem Kreuzgang, insbesondere aber für die Ruhe in der Augustinerkirche mit den eindrucksvollen Chorfenstern, den Löwen- und Papageienfenster.

Ein außergewöhnlicher Ort in idyllischer Lage

Von den Spuren Martin Luthers ging unsere Reise weiter ins sächsische Hagenwerder, heute ein Ortsteil von Görlitz. Unser erstes Ziel war das Hotel „Gut am See“, in dem wir einige Tage übernachteten. Ein Jahr nach der Eröffnung des Vier-Sterne-Hotels erhielten wir einen starken Eindruck davon, wie sich das Leben am Berzdorfer See, dem ehemaligen Braunkohletagebau, verändert hat. Aus dem ehemaligen Rittergut des 13. und 14. Jahrhunderts, der „Veste Tucheraz“ (heute: Tauchritz), entwickelte sich die Gutsanlage mit einem Wasserschloss. Hier erlebten wir die „blühenden Landschaften“ eines außergewöhnlichen Ortes in idyllischer Lage direkt am Berzdorfer See. Nur wenige Gehminuten vom Tauchritzer Wasserschloss wurden wir von der „Blauen Lagune“ überrascht, ein Schwimmbad mit schönem Sandstrand. Mit dem Fahrrad erkundeten wir entlang des Uferwegs am Berzdorfer See die „Insel der Sinne“, ein Hotel und Restaurant mit Seeterrasse und wurden von schönen Sandstrandabschnitten mit sauberem und glasklarem Wasser beeindruckt. Es war die Zeit, sich Zeit zu nehmen.

Ein perfekter Ausgangsort für Radtouren im Spreewald

Vom „Gut am See“ am Berzdorfer See bei Görlitz führte uns die Reise weiter in Richtung Norden, vorbei an Cottbus nach Raddusch im Spreewald. Wir fuhren vorbei an einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten im Spreewald, der nachgebauten Wehranlage „Slawenburg“ und wenige Fahrminuten später hatten wir unser Hotel „Radduscher Hafen“ erreicht. Es war der perfekte Ausgangsort für unsere Radfahrtouren durch den Spreewald, die uns zunächst zu den Stradower Teichen führten. Von der Idylle des um 1900 angelegten Teichgebietes, einem Zwischenstopp an der 300 Jahren alten Dubkow-Mühle, weiter auf dem „Gurkenradweg“ und einer Pause am Naturhafen Leipe erreichten wir das gleichnamige denkmalgeschützte Inseldorf, dass unter Foto- und Naturfreunden als ein Geheimtipp gilt. Bis 1936 war das von der Hauptspree und dem Leiper Graben umgebene Dorf nur mit dem Kahn erreichbar und die Fließe waren die „Straßen“ des Ortes. Seit 1969 ist Leipe über eine Straße von Burg aus erreichbar. Wir beobachteten das Kommen und Gehen der Kahnfahrer am kleinen Hafen des Spreewaldhofes, genossen Kaffee und Kuchen im Biergarten „Fischerstübchen“, bevor wir auf einem ausgebauten naturbelassenen Radwanderweg entlang eines Spreekanals auf dem „Gurkenradweg“ in Richtung Lübbenau mit Zwischenstopp in Lehde weiterfuhren. Vergessen war Hektik, Unruhe und Stress, dafür erlebten wir Natur pur und konnten die Seele so richtig baumeln lassen.

Die Lagunenstadt im Taschenformat

Das Spreewalddorf Lehde, eine „Lagunenstadt im Taschenformat“, wie es einst der Dichter Theodor Fontane beschrieb, „das aus ebenso vielen Inseln besteht, als es Häuser hat“ war für uns nur eine kurze Durchgangsstation, denn für das Freilandmuseum wollten wir uns am nächsten Tag mehr Zeit nehmen. Der erste Radfahrtag im Spreewald endete nach einer knapp 35 Kilometer langen Rundfahrt wieder im Radduscher Hafen.
Der Tag im Freilandmuseum Lehde wurde ein weiterer Höhepunkt unserer Reise zu den „blühenden Landschaften des Ostens“ und begann mit einem netten Gespräch im Museum vor einem der historischen Häuser. Die engagierte Frau in historischer Tracht der Spreewaldbewohner hatte Zeit, denn es stand keine Führung auf dem Programm und so gab sie uns exklusive Einblicke in das Leben des 19. Jahrhunderts. Eine Zeit ohne elektrischen Strom und Wasser, das mit Eimern aus dem Fließ geschöpft werden musste. Die Wäsche wurde noch mit Bürste und Kernseife geschrubbt und um 1840 teilte sich die gesamte Familie von den Großeltern, Vater, Mutter und Kinder einen einzigen Raum zum Essen, Schlafen oder auch zum Spielen. Wir konnten vier originale Bauerngehöfte aus der Spreewaldregion mit der ältesten Kahnbauerei des Dorfes besichtigen. Lehde ist ein einzigartiger Ort mitten im Spreewald, den die Besucher nur über kleine Stufenbrücken oder mit einem Kahn aus dem benachbarten Lübbenau erreichen können. Uns fielen auch die Schlangensymbole am Giebel der Häuser in dem fast 700 Jahre alten Dorf auf. Die heidnischen Giebelzeichen mit gekreuzten Schlangenköpfen sollen Schutz, Glück und Wohlstand für das Haus, die Familie und Tiere erbitten.

Eine Hefeplinse und der Spreewaldgraf

Eine schöne Altstadt mit einem quirligen Hafenviertel für Kahnfahrer im Spreewald erlebten wir in Lübbenau. Von Lehde waren wir mit dem Fahrrad in die 700 Jahre alte Stadt gefahren, die ein beliebter Ausgangspunkt für Kahnfahrten in den Spreewald ist. Ein Schloss mit Park im englischen Landschaftsstil bot uns im ältesten Teil der Altstadt von Lübbenau reichlich Fotomotive, bevor wir uns von einer traditionellen Spreewälder „Hefeplinse“ verführen ließen.

Im Blick zurück in die Geschichte erfuhren wir vom „Spreewaldgrafen“ Rochus Graf zu Lynar. Die Adelsfamilie Lynar verlor das Lübbenauer Schloss durch die Beteiligung des Grafen am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944. Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar war Adjutant von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben und stellte das Schloss in Lübbenau für geheime Verschwörer Treffen für die Attentatspläne mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg zur Verfügung. Kurz nach dem gescheiterten Putsch wurde der Graf zu Lynar hingerichtet und die Familie enteignet. Seit der deutschen Wiedervereinigung ist das Schloss Lübbenau wieder im Besitz der Familie Lynar, die das Schloss mit Orangerie, Marstall und Gerichtsgebäude mit viel Engagement und finanziellem Aufwand saniert und einen hochwertigen Hotelbetrieb etabliert hat.

Ein Rosentraum und der Birnbaum im Garten

„Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Ein Birnbaum in seinem Garten stand, Und kam die goldene Herbsteszeit. Und die Birnen leuchteten weit und breit…“, so beginnt das berühmte Gedicht von Theodor Fontane aus dem Jahr 1889. Viele Schüler haben dieses Gedicht auswendig gelernt und bis zum Ende „So spendet Segen noch immer die Hand, des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ aufsagen können. Und es gab ihn wirklich, den Birnbaum nahe der Kirche von Ribbeck. Vor 110 Jahren ist der originale Birnbaum allerdings einem Sturm zum Opfer gefallen und zwischenzeitlich wurden neue Bäume nachgepflanzt. Auf Ribbeck´s Spuren fanden wir auf unserer Reise nicht nur den aktuellen Birnbaum, sondern neben dem Schloss Ribbeck mit dem benachbarten Familienfriedhof auch die Alte Brennerei des ehemaligen Gutshofs. Auf einem Granitgedenkstein lesen wir, dass der letzte Herr von Ribbeck, Hans Georg Karl Anton von Ribbeck kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges als „Feind des Volkes“ im KZ Sachsenhausen ums Leben kam. Sein Tod und die Enteignung durch die Nationalsozialisten führten dazu, dass die heute lebenden Erben ihre Ansprüche auf Rückübertragung des Gutes stellen und mit der finanziellen Entschädigung die Gebäudesanierungen beginnen konnten. Zu den Wahrzeichen des Gutshofs gehört ein 30 Meter hoher Schornstein am Ziegelbau der ehemaligen Brennerei, in dem jedes Jahr ein Storchenpaar nistet.

Wir übernachteten nur wenige hundert Meter vom Schloss Ribbeck im Landhaus Ribbeck, ein kleines Hotel mit nur sechs romantischen Gästezimmern. Der ehemalige Schafstall aus dem Jahr 1860 gehörte zum Ribbecker Rittergut und wurde von einem engagierten Ehepaar vor dem Verfall gerettet. Eine Malerin und ein Ingenieur haben sich mit dem Landhaus und dem „Café Monet“ einen Traum erfüllt. Wir genossen die Tage im Zimmer „Rosentraum“ und nutzten die Zeit auch zu Verwandtenbesuchen im nahen Pessin, einem kleinen Ort im Havelland mit knapp 700 Einwohnern.

Ein faszinierendes Stück deutscher Geschichte

Auf Empfehlung unseres Vermieters im Landhaus Ribbeck machten wir einen Abstecher zum Abendessen ins 17 Kilometer entfernte Landgut Stober. Das historische Landgut, dessen Geschichte ins 12. Jahrhundert zurückgeht, liegt in einer malerischen Parklandschaft am Groß Behnitzer See und wurde im Jahr 2019 als BIO-Hotel mit 300 modernen Zimmern erweitert. Auf einer wunderschönen Seeterrasse ließen wir uns am Abend verwöhnen und erlebten die Magie eines Ortes, der auch ein faszinierendes Stück deutscher Geschichte ist. An die Unternehmerfamilie Borsig, die in Berlin vor allem Dampflokomotiven herstellte und das Landgut im Jahr 1866 übernahm, erinnert heute auch eine historische Lokomotive, die vor der 120 Jahre alten Brennerei aufgestellt ist. Nach dem Abendessen spazierten wir über den 6.000 Quadratmeter großen mit märkischem Feldstein gepflasterten Hof zum Parkplatz und kehrten zurück zum Landhaus Ribbeck.

Vom Fischerdorf zur Blütenstadt am Wasser

Am nächsten Tag führte uns unsere Reise durch die „Blühende Landschaften des Ostens“ auf eine Rundfahrt durch das Havelland und zu einer Stippvisite in Werder bei Potsdam. Aus dem ehemaligen Fischerdorf, dass für seine historische Altstadtinsel bekannt ist, wurde die „Blütenstadt“ am Wasser, die in den Flusslauf und die Seen der Havel eingebettet ist. So ist Werder besonders bei Wassersportlern durch sein weit verzweigtes Gewässernetz beliebt und zudem führen viele Radwege am Wasser entlang. Wir spazierten durch die Altstadt mit der weithin sichtbaren rekonstruierten Bockwindmühle, auf schönem Kopfsteinpflaster über den Marktplatz vorbei am alten Rathaus und der evangelischen Heilig-Geist-Kirche. Dort fanden wir am Friedhof eine Gedenktafel an sieben im Jahre 1952 in Moskau, während der Stalinzeit, hingerichtete Jugendliche aus Werder.

Über das schöne Kopfsteinpflaster der Altstadt liefen wir zurück mit einem kleinen Eisdielen-Zwischenstopp über die Havelbrücke auf der Straße „Unter den Linden“ zum Parkplatz. Mit einer knapp 70 Kilometer langen Rückfahrt von Werder über Brandenburg an der Havel, teilweise durch die „Grünen Tunnel“, den Alleen und Markenzeichen des Landes Brandenburg, kehrten wir nach Ribbeck zurück. Am nächsten Tag endete unsere Reise mit der Heimfahrt ins Rhein-Main-Gebiet.